Rede von Dr. Christian Harig
Präsident der Ludwig-Harig-Gesellschaft

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Weggefährten Ludwig Harigs – und liebe Gäste,

ich darf Sie alle ganz herzlich willkommen heißen, und ich freue mich sehr, dass Sie heute Abend hier sind – hier in Sulzbach, in der Heimatstadt Ludwig Harigs, zu einem besonderen Anlass: zum Gründungsfest der Ludwig-Harig-Gesellschaft.

Dass Sie heute hierhergekommen sind, ist ein deutliches Zeichen: Ein Zeichen dafür, dass Ludwig Harig lebendig ist – in seinen Büchern, in unseren Erinnerungen, als Teil des kulturellen Erbes dieses Landes.

So vielfältig wie Ludwig Harigs Werk ist auch das heutige Publikum – und das ist bereits ein guter Anfang.

Was wir heute feiern, ist mehr als ein Vereinsakt. Es ist eine Geste der Erinnerung, der kulturellen Teilhabe – und, ja, auch ein kleines Freudenfest. Und was könnten wir anderes feiern als ein Freudenfest – in aller saarländischen Freude, möchte ich sagen.
Denn das, was Ludwig Harig in dem Buch „Die saarländische Freude“ einst mit augenzwinkernder Liebe beschrieb – diese ganz besondere Mischung aus Lummerkeit, Widerspruchstoleranz und innerer Ruhe – das spüren wir heute als Begeisterung, als Verbundenheit, als Lust an Sprache, an Denken und an Begegnung.

Wozu wir uns versammeln – und was wir uns vornehmen

Was wir uns mit der Ludwig-Harig-Gesellschaft vornehmen, ist kein festes Programm, kein fertiger Plan – sondern eher ein offenes Versprechen:
Wir möchten Räume schaffen, in denen das Werk von Ludwig Harig weiterklingen, weitergedacht, zugänglich bleiben könnte – für heutige Leserinnen und Leser genauso wie für kommende Generationen.

Wir könnten uns vorstellen, mit der Gesellschaft:

  • Lesungen zu veranstalten, die Harigs Texte hörbar und erlebbar machen – so, wie ich sie selbst als Kind oft bei ihm zuhause gehört habe, wenn er las: zwar mit scharfer Stimme und mit leiser Ironie, aber immer mit diesem stillen Lächeln in der Stimme, das Ernst und Wärme zugleich war.
  • (Wir könnten uns vorstellen ) Ausstellungen zu ermöglichen, die das Erinnern mit neuen Perspektiven verbinden – vielleicht im Dialog mit heutigen Künstlerinnen und Künstlern, die sich mit Sprache, Erinnerung und Identität auseinandersetzen, aber auch mit den Werken von bildenden Künstlern seiner Generation wie Leo Kornbrust, Hans Dahlem, Jo Enzweiler oder Bodo Korsig.
  • Publikationen zu fördern, die Harigs Werk im aktuellen literarischen Diskurs halten – auch jenseits von Jubiläen. (Auch wenn das Jahr 2027, der 100. Geburtstag, uns natürlich schon jetzt leise zuwinkt.)
  • Vorträge und Workshops anzubieten – für alle Generationen, nicht abgehoben, sondern offen, niedrigschwellig, hoffentlich klug.
  • Und vor allem: Räume für kreative Auseinandersetzung zu schaffen – für Schülerinnen, Schüler, Studierende, Schreibende, Denkende, Fragende. Für alle, die sich in Harigs Werk wiederfinden – oder ihm zum ersten Mal begegnen.

All das ist kein abgeschlossenes Ziel – es ist ein Weg, den wir gemeinsam gehen wollen: mit der Stadt und dem Land, mit Literaturbegeisterten, mit Schulen, mit Universitäten, mit Medien, Künstlerinnen und Künstlern – und mit allen, die offen sind für Sprache, Erinnerung – und neue Perspektiven.

Wir möchten das literarische Werk Ludwig Harigs bewahren, vermitteln – und vor allem lebendig halten. Denn seine Literatur ist kein Denkmal aus Stein. Sie ist ein Denkraum. Offen, irritierend, humorvoll, hintergründig – und hochaktuell.
Ludwig Harigs Werk gibt Anstöße – ich denke da vor allem an seine späten autobiografischen Romane, in denen er seine Kindheit im Nationalsozialismus schonungslos, persönlich und kritisch reflektiert.
Diese Bücher sind Zeugnisse der Erinnerung – und zugleich ein Angebot zur Auseinandersetzung: mit der Vergangenheit, mit uns selbst und mit dem, was wir erzählen.

Harig als Erzähler, Weltbürger – und als Familienmensch

Ludwig Harig war ein Mann der Widersprüche – und der Verbindungen.
Ein Saarländer mit französischer Seele. Ein Heimatliebender – und zugleich ein Weltenbummler, ein Kosmopolit, ein Freund der Fremde. Einer, der in Sulzbach verwurzelt war – und sich dennoch Zeit seines Lebens mit der Welt, der Sprache, den Ideen anderer auseinandersetzte.

Er war ein experimenteller Avantgardist – und zugleich ein großer Erzähler. Besonders deutlich zeigt sich das in seinen drei autobiografischen Romanen: „Ordnung ist das ganze Leben“, „Weh dem, der aus der
Reihe tanzt“ und „Wer mit den Wölfen heult, wird Wolf“. Drei Bücher – drei Versuche, das eigene Leben im Spiegel der deutschen Geschichte zu begreifen.

Und wenn ich an Ludwig Harig denke, denke ich nicht nur an den großen Autor – ich denke auch an den Mann, der in Sulzbach lebte, schrieb, genauso gern aß und trank, wie er diskutierte.
Ich erinnere mich an das Haus hier in Sulzbach  – an ordentliche Bücherstapel und akkurate Manuskripte, an den Geruch von Tabak, der in der Luft hing, und auch an Sätze, die in der Luft hingen und Gedanken, die darin schwebten.

Als Kind verstand ich das Wort „Konkrete Poesie“ nicht – aber ich spürte, dass da etwas klang, das anders war.

Und ich erinnere mich an das Erscheinen seines Buchs Ordnung ist das ganze Leben – und Abende, an denen gefeiert wurde. Mal ein offizielles Fest, ein großer Empfang – mal ein Essen im kleinen Kreis, mit Freundinnen und Freunden, mit Wein, mit Lachen. Es waren solche Abende – ob in Sulzbach, irgendwo im Saarland oder im Elsass – in denen sichtbar wurde: Für Ludwig Harig war Literatur nicht nur ein Text, sondern auch ein Tisch, ein Gespräch, eine Begegnung.

Und ich erinnere mich auch an Brigitte, seine Frau, meine Tante: ihre Wärme, ihre Klugheit, ihr stiller Humor waren nicht nur sein Rückhalt, sondern vermutlich oft auch der Raum, in dem sein Schreiben sich entfalten konnte. Wer die beiden gemeinsam erlebt hat, weiß: Diese Liebe war eine Kraftquelle – für ihn, und für viele, die ihnen begegnet sind.

Diese persönlichen Erinnerungen sind es, die das Werk lebendig halten – weil sie zeigen, dass hinter dem Schriftsteller ein Mensch stand, voller Widerspruch, voller Neugier – und voller Lebensfreude.

Warum wir heute feiern

Heute gründen wir einen Verein – und wir beginnen auch ein neues Kapitel.
Wir tun das aus Respekt vor Ludwig Harig, aus Neugier, aus Verantwortung. Und auch aus dem Wunsch, etwas weiterzutragen, was größer ist als eine einzelne Person: eine Haltung zur Sprache, zur Heimat, zur Welt.

Ich danke allen, die heute sprechen – Vertreterinnen und Vertretern der Stadt Sulzbach, des Landes, Freundinnen und Weggefährten:

  • Frau Jessica Heide, Staatssekretärin im Ministerium für Bildung und Kultur des Saarlandes.
  • Herr Michael Adam, Bürgermeister der Stadt Sulzbach
  • Hermann Gätje von der Universität des Saarlandes, Bereich Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und verantwortlich für das Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsass
  • Gerhard Sauder, auch er vom Bereich Neuere Deutsche Literaturwissenschaft der Universität des Saarlandes, ehemals Dekan der Philosophischen Fakultät und Freund von Ludwig Harig
  • Und noch eine Freundin: Irmgard Rech, Literaturwissenschaftlerin, Herausgeberin und Verwalterin des literarischen Erbes Ludwig Harigs

Ich danke allen, die mitdenken, mittragen, mitgestalten möchten.
Ich danke allen, die mit uns an diesen Verein geglaubt haben – und ihn möglich machen.

Und ich sehe Gesichter von Menschen, die Ludwig Harig nahestanden – alte Freundinnen und Freunde, Weggefährtinnen und Weggefährten. Menschen, mit denen er gelesen, geschrieben, diskutiert, gefeiert hat. Ich bin sicher: Es würde ihn sehr freuen, Sie alle heute hier zu wissen – und ich glaube, er wäre ein bisschen gerührt …

Und ich lade Sie alle ein: Machen Sie mit! Tragen Sie diese Idee weiter. Bringen Sie sich ein. Die Ludwig-Harig-Gesellschaft soll von der Gemeinschaft leben. Von der Lust, gemeinsam zu denken, zu erinnern, zu fragen, zu erzählen.

Die Ludwig-Harig-Gesellschaft ist offen – offen für Vorschläge, für Zusammenarbeit, für Diskussionen. Und ich hoffe, dass sie genau das bleibt: offen, suchend, lebendig.

Ludwig Harig sagte einmal: „Nichts ist wahr als das Selbstempfundene.“

Was wir heute empfinden, ist Freude.
Freude über diesen Abend.
Freude über einen Autor, der uns mit seiner Sprache Heimat und Welt zugleich war – und das bis auf den heutigen Tag ist.
Und Freude über eine Gesellschaft, die es sich zur Aufgabe macht, nicht zu verwalten, sondern zu entfalten.

Ich danke Ihnen. Und lade Sie ein: Feiern Sie mit uns – mit Lummerkeit, mit Offenheit, mit saarländischer Freude.